"Dark Love - Ohne Dich bin ich verloren" - Estelle Maskame

"Ich wünschte, ich wäre wirklich der Tyler, den ich so überzeugend spiele. Der Typ ist cool. Der Typ hat eine heiße Freundin, ein tolles Auto, einen großen Freundeskreis. Der Typ ist glücklich. Aber was die Leute nicht wissen, ist, dass die heiße Freundin sich einen Dreck um ihn schert. Das tolle Auto hat ihn sein letztes Geld gekostet. Und der große Freundeskreis ist auch nur Show."

-S.113

Tyler scheint alles zu haben: Er sieht unverschämt gut aus, ist mit einem bildhübschen Mädchen zusammen und zieht mit seinen Freunden von Party zu Party. Doch immer öfter gerät er in Schwierigkeiten. Der Grund dafür liegt in seiner Vergangenheit – und niemand scheint ihm helfen zu können. Bis Eden auftaucht, die Tochter seines Stiefvaters und das Mädchen, das hinter seine Fassade blickt. Kann er sich mit ihr seinem großen Geheimnis stellen und erstmals echte Liebe wagen? 

Ich gebe es zu: Ich stand dem Roman ursprünglich eher skeptisch gegenüber. Dies war der Fall durch folgende Problematik: Die Handlung von "Ohne dich bin ich verloren" geht parallel zu der des ersten Teils. Und im ersten Teil hatte Tyler, wenn überhaupt, nur am Ende seine Gefühle gezeigt. Der Tyler, der imstande ist, seine Gefühle in die Welt hinauszuposaunen entwickelt sich erst in Teil zwei und drei - und so weit reicht die Handlung des vierten Teils nicht. 

Meine Erwartung war also, dass wir nicht sonderlich viele Emotionen von Tyler mitgeteilt bekommen; das er sich auch uns Lesern nicht öffnen würde. 

Das genaue Gegenteil war der Fall: Bis ins kleinste Detail erleben wir Tyler Gefühlswelt. 

"Nur ich habe den Eindruck, weit weg zu sein - als hätte ich nichts mit alldem zu tun, als wären ich gar nicht wirklich hier. Ich fühle mich so taub, so leer. Ich bin inzwischen so abgestumpft gegen alles, dass ich gar nicht mehr weiß, wie es ist, sich auf sein Umfeld einzulassen. Ich befinde mich in einem Schwebezustand und scheine überall zu sein, nur nicht hier."

-S.31

Diese Gefühlsbeschreibung ist Maskame wirklich gut gelungen und ich war hellauf begeistert. 

Ich muss allerdings auch an dieser Stelle eine Triggerwarnung aussprechen: 

Wie wir bereits aus der "Grundtrilogie" wissen, wurde Tyler von seinem leiblichen Vater misshandelt. Und gerade weil die Geschichte und Tyler Erlebnisse so ausschweifend und hochgradig gefühlvoll beschrieben sind, nehmen einen die Reisen in Tyler Vergangenheit, die zwischen jedem Gegenwart-Kapitel erfolgen, besonders mit. Ohne Verschnaufpausen lässt sich dieses Buch nicht lesen. 

Trotz - oder gerade wegen - der Beklommenheit, die die Vergangenheit-Abschnitte in mir ausgelöst haben, bin ich der Meinung, dass das Buch ohne diese Passagen nur halb so gut wäre. Denn ohne fehlt auch das Verständnis für Tyler Verhaltensweisen, wie es mir beim Lesen des ersten - und mitunter auch zweiten - Teils erging. 

Aber hier wird die Tyler-Bruce-Fassade wirklich wunderbar deutlich und endlich wird es auch verständlich, wer Edens Tyler überhaupt ist: 

"Und wie ich irre bin. Irre, weil ich so tue, als wäre ich ein völlig anderer. Ich weiß nicht mehr genau, wann das angefangen hat, aber langsam fühle ich mich wohl in meiner Rolle. Ich finde Gefallen an diesem anderen Tyler."

-S.74

Auch die Liebesgeschichte zwischen Tyler und Eden an sich hat sich in Teil vier wirklich weiterentwickelt, obwohl die Handlung der aus Band 1 entspricht. Teil 4 hebt die Liebe zwischen den beiden auf Gefühlsebene. In Teil 1 war die Liebe zwischen den beiden noch viel naiver - und wirkte lediglich körperlich. In "Ohne dich bin ich verloren" wiederum scheinen sich zwei Seelenverwandte gefunden zu haben. 

Die Liebe zwischen den beiden ist in diesem Band so viel schöner, da man als Leser vollends erkennt, wie Eden das Gute aus Tyler harter Schale herausbringt. Bei Eden kann Tyler vollends er selbst sein - und das ist das wirklich Berührende an ihrer Liebe. 

"Erst als mein Blick auf mein Spiegelbild fällt, trifft mich schlagartig die Erkenntnis. Es ist mein Lächeln. Da ist keine Spur von Spot mehr [...]. Mir wird ganz anders, als mir bewusst wird, dass ich mich in den letzten Minuten nicht verstellt habe. Das erste Mal seit Langem habe ich vergessen, Tyler Bruce zu sein."

-S.210 

Insgesamt merkt man, dass Estelle Maskame in ihrem Schreibstil immer weiter entfaltet: Ihr Start als Autorin war noch sehr geprägt vom oberflächlichen Stil, wie er auf Wattpad leider Gang und Gäbe ist. Doch nun erblüht hier mehr und mehr ein Schreibstil, der auf emotionaler Ebene so mitreißend ist, dass man die Hauptcharaktere nicht mehr loslassen möchte. 

Ich bin begeistert. 

5/5 Sternen